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„Die Lusophonie kämpft darum von der Welt besser wahrgenommen zu werden“ - Interview mit Mia Couto

Mia Couto (c) Promo__edited.jpg

28/06/2018

Foto: Promo

Mia Couto ist das Pseudonym von António Emílio Leite Couto: mosambikanischer Schriftsteller, Journalist, Dichter und Biologe.
Sein jüngstes Buch, 2015 in Portugal veröffentlicht, trägt den Titel „Mulheres de Cinzas“ („Imani“ in der deutschen Übersetzung). Es ist der erste Band der Trilogie „As Areias do Imperador“ und bringt den Schriftsteller zurück an seinen mosambikanischen Wurzeln - ein Thema, das sonst immer in seinen Werk präsent ist.


Die Handlung spielt sich im späten 19. Jahrhundert ab und befasst sich mit der historischen Figur Ngungunyane - von den Portugiesen auch Gungunhame genannt - Herrscher in Südmosambik, im sogenannten Gaza-Kaiserreich, der sich der portugiesischen Krone widersetzte. Ngungunyane wurde 1895 auf Anweisungen von Mouzinho de Albuquerque gefangen und auf die Azoren deportiert, wo er 1906 starb.


Das Werk basiert auf wahren Begebenheiten und historischen Personen und erforderte vom Autor eine intensive Forschung und die Durchführung diverser Interviews, ein Prozess, der über ein Jahr dauerte.


Berlinda hat Mia Couto im Zusammenhang mit der Buchvorstellung und Lesung von „Mulheres de Cinzas“ am vergangenen 23. April interviewt und der Autor sprach mit uns über den Erfolg seiner Deutschlandreise, seine Ansichten über das Identitätskonzept und darüber hinaus auch über die Lusophonie. 

Sie waren letztes Jahr mit „Mulheres de Cinzas“ auf der Leipziger Buchmesse und sind jetzt in Berlin. Wie sehr interessiert sich Ihrer Meinung nach das deutsche Publikum für Ihr Werk und wie wurde das Buch angenommen?
In Mai habe ich eine Tour durch verschiedene deutsche Städte gemacht und ich muss zugeben, dass ich von der Besucherzahl und dem Interesse überrascht war. Ich kann es nicht bewerten, aber ich bin sehr glücklich, da die Menschen sich jetzt tatsächlich für Bücher eines afrikanischen Landes interessieren, das wenig bekannt ist. Es gab Zeiten, in der diese Veranstaltungen von karitativen Organisationen durchgeführt wurden und diese eine wichtige Vermittlungsrolle hatten. Aber die Menschen, die jetzt zu so einer Veranstaltung gehen, machen dies nur aus literarischen Gründen.

Diese Frage führt uns zu einen anderen Thema - der Lusophonie. Wie wichtig ist Ihrer Meinung nach die Verbreitung der portugiesischsprachigen Literatur in der Welt?
Alle lusophonischen Länder sind in derselben Situation, Teil einer Sprachfamilie zu sein, die sich in einer Art Randlage befindet. Aufgrund der Hegemonie des Englischen und der Tatsache, dass sich 6 der 7 lusophonischen Länder nicht in Europa befinden, kämpft die Lusophonie darum von der Welt besser wahrgenommen zu werden. Wenn man an Afrika denkt, teilt man es sehr oft in zwei Teile: den englischsprachigen und den französischsprachigen. Es wird nicht an das lusophonische Afrika gedacht.

 

Aber dieses Buch ist nicht lediglich auf portugiesisch - es beinhaltet auch viele Wörter in der Sprache der VaChopi, Imanis Stamm. Ist es eine bewusste Handlungsweise, um die kulturellen Unterschiede zwischen diesen Menschen aus Mosambik und den Portugiesen darzustellen?
Das Portugiesisch, welches in Mosambik gesprochen und geschrieben wird, ist schon jetzt von der portugiesischen Norm unterscheidbar. Es vermischte sich mit den afrikanischen Sprachen und Kulturen. Nicht nur was das Vokabular angeht, sondern auch in der Morphologie und Syntax. Diese Unterschiede sind in meiner und in der Schrift aller Mosambikaner vorhanden. Wir machen dies nicht mit einer Absicht oder um etwas zu zeigen. Es entsteht auf natürliche Art und Weise.
Ein im Roman sehr gegenwärtiges Konzept ist die Frage der Identität - authentisch sein, seinen Wurzeln und Traditionen treu sein. Imani ist das Spiegel einer andauernden Spaltung: Sie lebt in einer Grauzone zwischen ihrem Volk und den Portugiesen, den Eindringlingen. Dürfen hier Parallelen zu Mosambik als Land, das noch auf der Suche nach der eigenen Identität ist, gezogen werden?
Die Identität, die mich interessiert, ist nicht die Echtheit oder die Treue zu der Tradition. Es ist eine andere: die der inneren Vielfalt und die der ewigen Mobilität. Alle meine Bücher behandeln dieses Thema und versuchen nahezulegen, dass dies nicht ein Thema ist: die individuelle oder kollektive Identität wird nur dann erreicht, wenn erkannt wird, dass sie unerreichbar ist. Weil sie vielfältig, pluralistisch und plastisch ist. Mosambik hat mehr als 25 Sprachen und Kulturen. Es hat verschiedene Religionen. Es ist notwendig, dass die sogenannte nationale Identität pluralistisch ist und sie diese gesamte komplexe Diversität von Menschen und Zeiten beherbergt.

In einem Interview mit dem Jornal de Letras sagten Sie, dass Sie sich, um diese Trilogie zu vollenden, verstecken müssten, vielleicht auf den Azoren. Ist in Kürze ein neues Buch geplant?
Ich habe schon begonnen, ein weiteres Buch zu schreiben. Diesmal kehre ich zu meiner Geburtsstadt zurück, Cidade da Beira, die sich in der Mitte von Mosambik befindet. Ich werde in die zwei letzten Jahren der Kolonialzeit und wie der Zusammenbruch der Kolonialherrschaft in meiner Stadt erlebt wurde zurückgehen.

Zum Schluss ein Verweis auf die Arbeit der Stiftung Fundação Fernando Leite Couto in Mosambik: Wie schaffen Sie es - zwischen Schreiben, Vorlesungen an der Uni und Reisen durch die ganze Welt - sich auch für dieses Projekt zu engagieren und wie wichtig ist es aktuell junge mosambikanische Literaturtalente zu fördern?
Vor 4 Jahren haben mein Vater, meine Brüder und ich uns entschieden, dass die Arbeit, die er mit den mosambikanischen Jugendlichen macht, nicht zu Ende gehen könnte. Unser Vater hat hunderten von Jugendlichen dabei geholfen, ihre Schriften zu verfassen und in vielen Fälle zu veröffentlichen. Es waren bescheidene Jugendliche, die überhaupt keine Unterstützung hatten. Die Fundação Fernando Leite Couto arbeitet mit jungen Schriftstellern und veröffentlicht Neuautoren. Sie leistet allerdings auch eine außerordentliche Arbeit in allen anderen Künsten. Heutzutage ist es eine renommierte Einrichtung in der mosambikanischen Kultur.

 

Interview: Rita Guerreiro

Rita Guerreiro

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Hat ein Abschluss in Audiovisuell und Multimedia von ESCS - Escola Superior de Comunicação Social (Lissabon). Trat 2016 dem neuen Berlinda-Team bei und hat seitdem verschiedene Artikel und Interviews zum Magazin beigetragen.

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