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Leben in Berlin: Veränderung und Gentrifizierung

Zum Phänomen der rasanten Steigerung der Mietpreise in Berlin wird viel geschrieben. Cristina, Luís und Marta erzählen uns aus eigener Erfahrung, wie sie die Veränderungen in der Stadt im Laufe der Jahre miterlebt haben.

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Fotos: Berlinda.org (Links)

Marta Setübal (Rechts) 

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Rita Guerreiro

Rita Guerreiro hat einen Bachelor in Audiovisuellem Design und Multimedia (ESCS – Escola Superior de Comunicação Social, Lissabon) und kam im Juli 2016 zu Berlinda. Sie ist Herausgeberin des Magazins und verantwortlich für die Website. Für Berlinda schrieb sie verschiedene Artikel und Interviews.

Die Definition im Wörterbuch drückt es klar aus: Gentrifizierung ist das Aufwerten der Immobilien in einem bestimmten Stadtteil, um diesen Stadtteil für Bewohner mit einem höheren Einkommen interessanter zu machen. In Berlin ist dieser Begriff seit einem Jahrzehnt in aller Munde. Die deutsche Hauptstadt machte im Laufe der Geschichte schon mehrere solcher Phasen durch, und nun durchlebt sie erneut eine Phase mit tiefgreifenden Veränderungen. 

DIE ZEITEN ÄNDERN SICH

Cristina Aibéo arbeitet in einem Forschungslabor der Berliner Museen. Sie erinnert sich daran, dass sich der starke Anstieg der Wohnungspreise bis zum Jahr 2012 noch nicht bemerkbar machte. „Zum Glück habe ich mich dazu entschlossen, schon damals meine eigene Wohnung zu kaufen. In den letzten zwei bis drei Jahren sind die Preise trotz der Versuche, sie durch politische Maßnahmen zu bremsen, stark gestiegen. Solange es keine große Nachfrage gab, waren die Preise stabil, aber jetzt ist es in Berlin fast so schwer wie in München, eine Wohnung zu finden.
 
Cristina ist gebürtige Portugiesin, sie kommt aus der Stadt Covilhã und lebt seit 2009 in Berlin. Ihre erste Wohnung war in der Nähe der Alexanderplatzes, im Zentrum der Stadt, ein Plattenbau, in dem es viele ältere Leute gab, die schon seit der Erbauung in den fünfziger Jahren dort wohnten. Cristina erinnert sich an die Klagen einiger ihrer Nachbarn: „2010 oder 2011 hat mir eine Nachbarin erzählt, dass sie in einen Vorort von Berlin wegziehen müsse, da ihre Miete erhöht worden sei und sie diese nicht mehr bezahlen könne. Sie war 70 bis 80 Jahre alt und lebte seit 40 Jahren dort. Dies hat mich bestürzt und ich fühlte mich sogar etwas schuldig, denn wahrscheinlich konnte ich, obwohl ich schlecht verdiente (rund 1000 € zu dieser Zeit), mehr zahlen als sie. Schon zu dieser Zeit begann man von Gentrifizierung zu sprechen.“
 
Aber ist die Gentrifizierung wirklich so ein ungewöhnliches Phänomen? Oder ist es nicht eher ungewöhnlich, dass eine Stadt wie Berlin, die Hauptstadt Deutschlands, verglichen mit anderen europäischen Hauptstädten so günstig ist? Auf jeden Fall geht die Gentrifizierung auch heute weiter, wobei inzwischen einige neue Akteure das Spielfeld betreten haben, wie uns Cristina zu berichten weiß: „Heutzutage spricht man schon von einer Gentrifizierung der Gentrifizierer. Im Prenzlauer Berg beispielsweise wurden die Berliner von den Süddeutschen „gentrifiziert“, die wohlhabender sind. Heute werden diese von Ausländern „gentrifiziert“, die für die Start-ups hierherkommen. Als ich nach Friedrichshain kam, war dies noch ein ruhiges Viertel. Es gab schon viele Cafés und Bars, aber es war nicht so „alternativ“ und „künstlerisch“ wie Kreuzberg, und nicht so schick wie der Prenzlauer Berg. Inzwischen sind die alten Trödelhändler schicken Friseursalons oder Designerläden gewichen. Und man sieht auch mehr Autos, nicht die alten, typischen Berliner Kisten, sondern BMWs, Mercedes, Audis, die man vorher nie hier sah!“
 
Marta kommt aus Vila Real de Santo António und lebt seit 2010 in Berlin: „In dem Viertel, wo ich wohnte, hat sich in diesem Jahr vieles verändert, auch in meiner Straße. Anfänglich gab es ein Café, einen Friseurladen, einen Brathähnchenverkauf, zwei oder drei Vereine von arabischen Einwohnern, ein Geschäft für Kinderfahrräder mit Reparaturwerkstatt, einen Laden mit gebrauchten Haushaltsgeräten und einen weiteren mit gebrauchten Möbeln. Zu guter Letzt wurden daraus drei Hipster-Cafés (das frühere Café in der Straße ist inzwischen geschlossen), zwei Läden mit Designermode, der Friseur wurde zum „Späti“ und es eröffnete ein Vinylladen. Die Straße ist nicht wiederzuerkennen.“

Nach gerade mal zwei Jahren in der Stadt bemerkt Luís diese Veränderungen weniger, aber er betont die steigenden Mieten: „2017 kostete ein Zimmer im Durchschnitt noch 400 Euro, dieses Jahr sind es schon 500 Euro.“ Wenn ihm heute Freunde erzählen, dass man vor zehn Jahren für 300 bis 400 Euro eine ganze Wohnung mieten konnte, kann er sich das kaum vorstellen. Er zählt einige Veränderungen der Viertel in Berlin auf: „Es ist deutlich zu erkennen, dass es Gegenden gab, die man früher nicht interessant fand, die sich jetzt aber stark entwickeln, wie Wedding und Weißensee. Die jungen Familien, die gerne im Prenzlauer Berg wohnen würden, aber sich die teuren Mieten nicht mehr leisten können, ziehen woanders hin, z. B. nach Wedding.
 
Die „coolen“ Viertel, wie Prenzlauer Berg, Kreuzberg, Friedrichshain oder sogar Neukölln, werden langsam zu teuer. Wedding ist der typische Fall eines Viertels, das vor zehn Jahren kaum jemand als Wohnort ausgesucht hätte, dessen Nachfrage in den letzten Jahren jedoch gestiegen ist. Mit der steigenden Nachfrage kam neues Leben in die Straßen: Es gibt ein besseres kulturelles Angebot und natürlich neue Cafés, Restaurants und Bars… Seit einigen Jahren wird Wedding auch als das nächste Neukölln bezeichnet, es ist derzeit noch eins der erschwinglichen Viertel (und relativ nahe am Zentrum), aber vielleicht nicht mehr lange.

WAS DIE ZUKUNFT BRINGT 

In Berlin sind Demonstrationen gegen die stark steigenden Mieten keine Seltenheit, es herrscht ein immer stärkeres Bürgerbewusstsein und es gibt mehrere Selbsthilfegruppen: Sie bieten Beratung und Informationsveranstaltungen, organisieren Demonstrationen. Im letzten Jahr suchte Marta eine solche Gruppe auf, die „Bizim Kiez“ in Kreuzberg. „Mich haben die Organisationsfähigkeit und die Energie fasziniert. Es gibt immer mehr positive Ergebnisse! Dieses Jahr kamen bei der großen Demonstration zu diesem Thema, die von 200 solcher Gruppierungen mitorganisiert oder unterstützt wurde, mehr als 25000 Leute zusammen“, schildert sie voller Bewunderung.

Die steigenden Mieten sind definitiv auf der politischen Tagesordnung gelandet, aber es ist nicht leicht, daran zu glauben, dass dies auch zu einer tatsächlichen Verbesserung der Lage führt. Natürlich, „es werden so viele Leute aus den Wohnungen gedrängt, dass die Politiker das Thema aufnehmen und die Anwälte der Mietergemeinschaften überall Werbung machen.“ Cristina befürchtet, dass die Situation in Zukunft noch schwieriger sein wird: „Ich bin da eher pessimistisch. Obwohl es theoretisch Gesetze gibt, die die Steigerung der Mietpreise verhindern sollen, können die Besitzer, solange es die entsprechende Nachfrage erlaubt, so viel verlangen, wie sie wollen. Da keiner mehr unbefristete Verträge abschließt, kündigen die Vermieter nach wenigen Jahren – normalerweise zwei – den Mietvertrag und suchen neue Mieter, bei denen sie mehr verlangen können.“
 
Marta meint, die Situation werde sich in den nächsten Jahren verschlechtern. Obwohl ein Teil der Bewohner sich organisiere, demonstriere und versuche, den Bürgern das Problem bewusst zu machen, engagieren sich die restlichen Bewohner – die später zugezogen sind – weniger. „Und da es stets Leute gibt, die neu ankommen, sei es, weil sie ein oder zwei Jahre mit einem guten Stipendium bleiben oder weil sie für kurze Zeit für ein „Start-up“ arbeiten, und die sich daher nicht für diese Sache engagieren, werden die anderen nach und nach weggedrängt“, behauptet sie. Trotzdem ist sie zuversichtlich: „Es gibt eine positive Energie, die sich ausbreitet und die sich dafür einsetzt, das zu erhalten, was die Stadt und die, die in ihr wohnen, prägt und deren Dynamik ausmacht.“
 
Für Luís ist Berlin trotz der bemerkenswerten Mietpreissteigerungen weiterhin eine erschwingliche Stadt:„Erschwinglicher als andere große Städte, wie London oder Madrid.“ Er findet die Entwicklung nicht ungewöhnlich, andere Städte haben sie auch schon durchgemacht – oder machen sie gerade durch. So sei es auch in seiner Heimatstadt. „In Lissabon ist die Situation ähnlich. In meinem Fall sind die Gegebenheiten hier in Berlin, zum Arbeiten und zum Leben, trotz der Schwierigkeit, an Projekte zu kommen, noch sehr viel besser als in Lissabon. Ich werde besser bezahlt und habe bessere Geschäftsmöglichkeiten als in Portugal, und interessantere Arbeitsmöglichkeiten.“
 
Währenddessen zieht Berlin immer mehr Menschen an. Verschiedene Faktoren ergeben zusammen eine  Mischung, die zu explodieren droht: die Immobilienblase bläht sich auf, der Tourismus boomt und damit auch die private Kurzzeitvermietung; die Gentrifizierung ist nicht zu übersehen und es gibt immer mehr Menschen, denen diese Tatsache Sorge bereitet. Es wurde schon viel zum Wohnraumproblem in der deutschen Hauptstadt gesagt und geschrieben, sowohl aus positiven wie aus negativen Blickwinkeln. Dieses Phänomen betrifft aber auch andere europäische Städte, sodass die Diskussion sicherlich auch in den nächsten Jahren nicht an Aktualität verlieren wird.

Übersetzung: Rudolfo Martins

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