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MAGAZIN

Deutsch lernen - eine Art von Stand-Up-Comedy

Jacinto Ferreira Delgado

Ich wohne seit etwa zweieinhalb Jahren in Berlin und spreche kein deutsch, so wie wahrscheinlich viele andere Menschen, die „vor Kurzem“ in diese Stadt gezogen sind (zumindest beruhigt es mich das zu glauben). Es existiert keinerlei Beziehung zwischen mir und der deutschen Sprache. In den zweieinhalb Jahren habe ich einige Erlebnisse gehabt, von denen ich erzählen kann. Lustig oder peinlich? Das darf jeder für sich entscheiden.

 

Ich sehe sogar deutsch aus. Ich bin groß, 7 cm größer als der durchschnittliche deutsche Mann, blond und trage diese runden und braunen Brillen, die jetzt in Mode sind, ihr wisst was ich meine? Und deswegen neigen Menschen dazu mit mir deutsch zu sprechen. Das Problem ist, dass ich immer in Panik gerate und denke, ich habe etwas Falsches getan, wenn ich auf deutsch angesprochen werde. Nicht, dass ich grundsätzlich Probleme mache oder etwas anstelle, aber die Deutschen kommen mir in der Art ihrer Kommunikation immer noch so aggressiv vor, dass ich nur den Schwanz einziehen und die Flucht ergreifen möchte.

 

Vor einigen Tagen war ich mit Freunden ein Bier trinken. Spät in der Nacht kam eine Frau in meine Richtung und schob dabei ein Fahrrad mit Luftballons neben sich her. In meinem Kopf lächelte sie dabei, spielte mit ihrem Haar und ritt auf einem weißen Einhorn (nicht unmöglich in Berlin). Als sie vor mir stand, lächelte sie und sagte etwas auf deutsch zu mir. Ich geriet in Panik, wusste nicht, was ich sagen sollte und fragte sie dann, ob sie mit ihrem Fahrrad fliegen wolle. Erbärmlich. Ich habe zwei Gelegenheiten verpasst: zum einen eventuell mit ihr ausgehen zu können, zum anderen einfach zu schweigen. Ich werde nie erfahren, was sie zu mir gesagt hat. Es könnte von „du bist der attraktivste Mann in dieser Bar“ bis hin zu „hast du Feuer?“ gehen. An der Stelle muss ich noch erwähnen, dass ich auch bei Tinder im Nachteil bin. Ich bin kein hübscher Kerl, sodass ich so gleich 75 % der Matches verpasse. Ich spreche kein deutsch und verpasse so weitere 24 %. Bleiben mir also 1 % (die hässlichen und zahnlosen). Ich gab auf.

 

Vor einem Monat kam mich ein Freund in Berlin besuchen und wir gingen in die Philharmonie. Sie haben eine 15-minütige Einführung auf deutsch gehalten, bei der ich nur die Namen von etwa 10 Ländern verstehen konnte. Ich habe den Herrn also in etwa so gut verstanden wie die Opernsängerin. Und das lustigste, oder auch das peinlichste, ist, dass wir bereits in der Pause gegangen sind und dabei dachten, dass es schon vorbei war. Dies wäre wahrscheinlich nicht passiert, wenn ich deutsch verstehen würde. Aber gut, da wir schon draußen waren, sind wir gegangen.

 

Im Restaurant kann ich mich zwar schon langsam behaupten, aber ich bestelle dennoch sehr oft noch die Katze im Sack. Bei der Bestellung im Burgerladen kam die Frage: „scharf?“ woraufhin ich bejahte. Ich konnte den Hamburger nicht aufessen. Ein anderes Mal habe ich eine Suppe bestellt und wurde gefragt, ob ich Weiß- oder Vollkornbrot haben wollte und ich antwortete mit „Ja“. Ich weiß nicht mehr, was ich letzte Woche im selben Restaurant auf deutsch murmelte, aber der Kellner war so verwirrt, dass er mir am Ende zwei kleine Suppen serviert hat. Immerhin kann ich schon ohne Probleme einen Döner bestellen: „Ein Döner, bitte, alles, komplett“. Funktioniert immer.

 

Im letzten Jahr bin ich umgezogen. Da ich nicht gerne andere Menschen störe und sehr unabhängig bin, habe ich mich entschlossen, den Umzug unter der Woche alleine machen, am Dienstag oder Mittwoch, ich kann mich nicht mehr erinnern. Ich mietete einen Transporter, um mit meinem Kram umzuziehen. Ich hatte zwar nicht viel, aber mit einer Matratze auf dem Rücken von Wedding nach Neukölln zu laufen, schien mir keine gute Idee zu sein. Da fuhr ich also recht angespannt den Weg nach Neukölln, immer mit Blick auf Google Maps, als ich eine Polizeisirene hörte. Ich beachtete sie nicht. Gleichzeitig Fahren und dem Pfeil auf der Karte folgen war schon Herausforderung genug. Plötzlich sprach die Polizei mit mir über den Lautsprecher. Ich geriet in Panik, schwenkte nach rechts und begann damit mir eine Ausrede für die Polizei auszudenken, da ich möglicherweise über irgendeine rote Ampel gefahren war. Ich fahre rechts ran, halte das Auto praktisch an und sehe dann, wie die Polizei vorbei- und weiterfährt. Gut, das war wirklich dumm, aber ich hätte den Transporter nicht anhalten müssen, wenn ich verstanden hätte, was die Polizei zu mir gesagt hat.

  

Als ich in Berlin ankam, musste ich mich im Bürgeramt anmelden. Die Dame stellte mir Fragen auf deutsch und ich antwortete lediglich auf englisch „no religion, no religion“. Diesmal, nachdem ich in die neue Wohnung gezogen bin und mich wieder ummelden musste, war ich vorbereitet!  Ich hatte mir einen Zettel mit drei Sätzen auf deutsch vorbereitet, die ich mit Google übersetzt habe: „Ich spreche kein Deutsch. Entschuldigung. Ich möchte nur meine Adresse ändern“. Es hat funktioniert, aber nur weil die Dame Mitleid mit mir hatte. „Der Arme“, hat sie gedacht.

 

Langsam glaube ich, dass diese Situationen eher peinlich als lustig sind. Vielleicht ist für mich wirklich die Zeit gekommen, deutsch zu lernen. Auch wenn Berlin eine junge und internationale Stadt ist: Deutsch ist nach wie vor unerlässlich für eine vollkommene Integration in das berliner Sozialleben. Man bekommt vieles von der Stadt und Kultur nicht mit, wenn man ihre Sprache nicht spricht, da diese Hand-In-Hand gehen. Man verpasst viele Chancen, nicht nur berufliche, sondern auch generelle. Ich fühle mich fremd. Ich den Ländern, in denen ich vorher gewohnt habe, hatte ich nie dieses Gefühl und ich fühlte mich immer integriert und dazugehörig und ich glaube, das kam daher, weil die Sprache nie ein Hindernis war. In Berlin habe ich sehr oft dieses Gefühl, dass ich in meiner Welt lebe und nicht dazugehöre. Deutsch zu sprechen wird nicht nur im CV gut aussehen und einige Türen öffnen, sondern wird mir auch ermöglichen, die Geschichte des Landes, die regionalen, sozialen und sogar individuellen Unterschiede zu verstehen. Somit werde ich aufhören zu reden und mich nach dem Sommer in einer Sprachschule einschreiben (mit der Ausrede, dass ich die Sonnentage genießen möchte) und tatsächlich damit beginnen, die Sprache zu lernen. Tschüss!

 

Text und Foto: Jacinto Ferreira Delgado

Übersetzung: Hauke Christian Hartje, hartje-übersetzungen, Berlin

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Jacinto Ferreira Delgado

Jacinto Delgado wurde in Guarda, Portugal, geboren. Er verließ Portugal vor etwa 9 Jahren. Obwohl die ursprüngliche Idee war (nur) einen Master in Paris zu machen, er hat auch noch in Brasilien und Irland gelebt, bevor er 2015 nach Berlin zog.

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