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MAGAZIN

Aloísio Avaz in Bewegung

Brasilianischer Choreograph und Lehrer erzählt von seinen Erfahrungen in Berlin, mit den Höhepunkten und Niederlagen eines Lebens weit weg von der Heimat | Profil - von Enio Moraes Júnior

 

Hände nach oben, zur Seite, nach unten. Choreographie. Das Leben ist voller Bewegungen. Deshalb ist es voller Höhepunkte und Niederlagen. Bei Aloísio Avaz, einem Brasilianer, der seit 24 Jahren in Berlin lebt könnte es nicht anders sein, vor allem wenn er seiner Berufung nachgeht: Choreograph und Tanzlehrer im Ausdruckstanz.

Ruhiger Blick, elegant und leichte Gesten wie beim Ballett. An diesem kalten Tag Anfang März hat er mich in seiner Wohnung in Treptow empfangen. Einer, der naturreichsten und grünsten Bezirke Berlins. Gut geschützt mit einem grauen Schal um den Hals gebunden, sagt er mir:

- Der Tag ist sehr kalt. Komm rein, ich mache dir einen Tee.

In paar Sekunden kam der Tee mit einem Aroma, welches ich sofort erkannte: Zimt. Das Gespräch begann. Aloísio ist in den 60er Jahren, in Paraíso do Norte geboren, einer Kleinstadt des Bundesstaates Paraná, welche heute ca. 12.000 Einwohner hat. Zwei Jahre danach zogen die Eltern, José und Nadir, mit den vier Kindern nach Sao Paulo, in die brasilianische Metropole.

Mit 10 Jahren, änderte ein Ereignis sein Leben. Er ist von einer Steinplatte mit einer Höhe von fünf Metern gefallen. Der Unfall verursachte Folgeerscheinungen in seinem linken Arm, der sich nur eingeschränkt bewegen konnte. Die diskrete Imperfektion seines physischen Zustandes brachte ihn zum Nachdenken, fokussiert auf seinen Körper, auf Körper. Von da an sich in den Ausdruckstanz zu verlieben und für den Tanz, war einfach ein Sprung.

Er versuchte Bänker zu sein, aber die Leidenschaft für den modernen Tanz siegte. „Mache, was du willst, aber sei dir der Konsequenzen deiner Entscheidungen bewusst“, mahnte die Mutter Nadir. Er verstand den Rat und hat es geschafft das zu machen was er wollte. Paar Schritte nach vorne sowie zurück, mit 28 Jahren änderten sich die Umstände und er tauschte São Paulo für Berlin.

Während dieser Zeit seines Lebens in Europa, von 1994 bis 2018, geschah ein unvergesslicher Moment im Juni 2008. An diesem Tag wurde er eingebürgert.

- Nach vielen Jahren habe ich die deutsche Staatsbürgerschaft beim Bürgeramt des Stadtteils Neukölln erhalten. Viele Menschen waren dort, aus verschiedenen Ländern und, jedes Mal, wenn eine Person die Staatsangehörigkeit erhielt wurde sie vom Bürgermeister beglückwünscht. Fotos wurden gemacht. Eine Band spielte die Nationalhymne des Herkunftslandes. Es war ein besonderer Empfang für mich, als Individuum sowohl als Bürger. Ich fühlte mich offiziell aufgenommen von dieser Gesellschaft… Ich lief durch die Straßen und fühlte mich anders. Ich fühlte mich zugehörig, als Teil der Gesellschaft!

Nach einer Dekade nach dem Erlebnis, sagt er, dass es unmöglich ist zu vergessen, dass er Brasilianer ist, aber er mag es sehr in Deutschland zu leben und hat eine starke Verbundenheit mit dem Land. Die Dekoration seines Wohnzimmers zeigt dies deutlich. Der Raum verbindet europäische Elemente wie die Sessel und Kissen von IKEA sowie brasilianische wie die handgemachten schwarzen Figuren aus Lehm.

Aloísio bewertet seine Karriere sowie seine Geschichte als Erfolg eines Zeitraums von über 20 Jahren.

Somit erkennt er auch, dass das Leben nie einfach war in der Stadt, und auch wenn er sich in vielen Aspekten sicher fühlt, ist er trotzdem manchmal kritisch und besorgt.

Leben und Arbeit

Frankreich, Schweden, Schweiz, Portugal, Deutschland. Die Tanzausbildung im modernen Tanz in São Paulo öffnete ihm die Türen für die große weite Welt. Die Gewässer des atlantischen Ozeans, welche Lateinamerika von Europa trennen waren nicht mehr so groß und wurden mit einem choreographischen Sprung überquert.

- Ich kam nach Deutschland aufgrund eines Castings im Jahr 1994, welches ich in Sao Paulo gemacht habe bei dem portugiesischen Choreographen João Fiadeiro. Er führte Castings in Brasilien für eine deutsche Produktion durch.

Heute sagt Aloísio, dass der Anpassungsprozess in Deutschland kein Ende hat. Für ihn bedeutet dies, ein typischer braun gebräunter Brasilianer mit einem leichten Lächeln, manchmal schüchtern, eine permanente Herausforderung als Ausländer der sich entschieden hat in einem anderen Land zu leben.

- Es war nicht und es ist nicht einfach. Ehrlicherweise muss man sagen, dass es verschiedene Facetten gibt, welche man durchgehen muss um ein Teil der Gesellschaft zu werden. Es ist eine ganz andere Kultur als die brasilianische. Einerseits sehr strukturiert. Ich mag diese Klarheit, die Art wie die Stadt tickt. Andererseits muss man die Sprache sprechen sowie die neue Kultur um in der Stadt zu leben. Manchmal haben die Deutschen diese Art, wenn Du sie nicht verstehst, die man falsch interpretieren kann.

Mit Sicherheit war aber das erste Treffen von Aloísio und Hojo Plies kein Missverständnis, ein Deutscher aus Kiel, den er in Berlin kennengelernt hat nachdem er fünf Jahre hier gelebt hat. Die Beiden bauten eine Beziehung auf, welche jetzt schon 16 Jahre anhält. Mit Pirat, einem Hund der Rasse Bolonka, vervollständigt sich die Familie und wohnt in einer charmanten Wohnung in Treptow.

Hojo gibt zu nie Portugiesisch gelernt zu haben, sagt aber auch, dass dies keinen Unterschied in deren Leben darstellt. „Deutsch steht als Sprache immer im Vordergrund und ich verstehe ihn auch so sehr gut“, sagt, lobt er seinen brasilianischen Mann.

Außer der Familie, stellt Hojo fest, dass das Essen sowie das tropische Klima zwei Bestandteile sind, die Aloísio am meisten vermisst.

- Von Zeit zu Zeit gibt es einen Heißhunger nach Reis, schwarzen Bohnen, etc. Die Freude über warmes Wetter ist immer groß!

Die Sehnsucht nach dem brasilianischen Essen und der Wärme, löst der Choreograph mit Reisen nach Brasilien, die er alle drei oder vier Jahre macht. Aber die Sehnsucht nach der Familie, dieses so menschliche Gefühl, da gibt es keinen Ausweg…. Mit 34 Jahren, Nádia Martines ist die Nichte von Aloísio und wohnt in Brasilien. Sie war ein Kind als der Onkel das Land verließ und seine Abwesenheit hinterlässt eine Lücke, welche von Zeit zu Zeit mit Telefonaten und Fotos gefüllt wird.

- Wir vermissen unseren Onkel Aloísio sehr. Außer dem Internet und der Technik, die die Entfernung verringert, ist er traditionell und bevorzugt es per Telefon anzurufen. Eine Rechtfertigung dafür ist auch, dass meine Großeltern, seine Eltern, schon 90 Jahre alt sind. Deshalb ist es leichter zu telefonieren. Öfters schickt uns unser Onkel Fotos auf´s Handy und wir zeigen diese unseren Großeltern. Auf diese Weise verkleinert sich die Sehnsucht ein wenig.

Die meiste Zeit ist Aloísio in Berlin, wo er mit dem Ausdruckstanz arbeitet und Erfahrungen als Choreograph sammelt. Selbstständig entwickelt er Projekte an öffentlichen Schulen, wo er als Tanzlehrer von Kindern und Jugendlichen tätig ist. Andererseits gibt er auch Tanzunterricht an privaten Schulen, an welchen er manchmal eigene Projekt entwickelt.

Für Aloísio ist die Funktion des Ausdrucktanzlehrers den Menschen Anfangssignale zu geben, selbst seinen Körper und die eigenen Bewegungen zu entdecken. „Ich arbeite viel mit der Improvisation, wo die Menschen viel experimentieren können, sich mit anderen Teilnehmern auf eine eklektische/ alternative Weise austauschen können… Von da an kommt die Transformation und die „Desformation der Körper“.  

Herausforderungen und Kritik

Experimente, Vielseitigkeit, Veränderung. Die Jahre in Deutschland fordern Aloísio alltäglich heraus. Manchmal verschwindet das befriedigende Gefühl im Ausland zu leben und wird zu einem starren Blick, der sich im Himmel verliert. Die Hände und der Ausdruck unterstützen die Aussage, so als ob er die Gewissheit hat über das was er sagt.

- Es ist nicht leicht in Berlin zu leben. Ehrlich gesagt, gibt es eine leichte, gute und praktische Seite, da es eine Stadt ist, die funktioniert. Aber einige Sachen funktionieren nicht, andere funktionieren sogar sehr gut und sollten ein wenig entspannter zu erledigen sein.

Er bemerkt, dass die Stadt viel für ihre Bürger tut, aber auch dass diese viel dafür tun, nichts ist kostenlos. Der spirituelle, kritische, stille Teil des Künstlers wägt die guten Investitionen in Technologie und die Wirtschaft Deutschlands ab, aber auch die vergessenen Seiten wie das soziale Leben und die Kultur.

- Ich denke, dass Deutschland sich in einem Veränderungsprozess befindet, denn seit einigen Jahren wurden einige Dinge vernachlässigt, die jetzt gebraucht werden. Es gibt obdachlose Deutsche, die bei dieser Kälte sich auf den Straßen aufhalten. Der pädagogische Bereich sollte sich weiter öffnen damit wir (Lehrer) mehr tun können.

“Es ist nicht immer so, aber manchmal, kommt die Lust auf, nicht hier bleiben zu wollen“, sagt Aloísio, dabei betont er sein Privatleben.

- Hojo ist eine der Wurzeln, welche entstanden, es ist eine langjährige Beziehung. Du kannst nicht einfach diese Geschichte dalassen, es ist auch nicht in meinem Interesse dies zu tun.

Aloísio wünscht sich öfters sein Geburtsland zu besuchen. Nicht nur wegen der Familie, sondern auch auf beruflicher Ebene.

- Ich würde gerne Projekte in Brasilien und Deutschland miteinander verbinden. Ich habe bereits ein Projekt in Berlin und in São Paulo durchgeführt. Dort habe ich die Praça da Sé, hier den Alexanderplatz ausgesucht. Hier habe ich mehr Unterstützung erhalten, aber man findet immer verschiedene Wege an verschiedenen Orten.

Er hat vor noch 15 bis 20 Jahre zu arbeiten, aber letztens hat er an die Zukunft gedacht, welche unvorhersehbar im Sinne der körperlichen Beschränkungen ist, für eine Person die vom Tanz lebt. „Deutschland hält manchmal keine Sicherheiten bereit, nicht mal selbst für die Deutschen“. Er erkennt aber auch an, dass diese Besorgnis ein Teil des Kampfes ist von Brasilianern, die im Ausland leben, aber auch von denen, die im Land bleiben.

Wie alles im Leben und wie er es lehrt, positioniert er sich in Bewegung, flirtend mit den Höhen und Tiefen eines Lebens im Ausland, weg vom Herkunftsland. Oder vielleicht auch, dort zu leben, wo man leben möchte.

- In Brasilien ist mein Herz, mein Kopf und dort sind meine Füße.

Bedankte mich und lobte den Zimt Tee. Er antwortete mit einem leichten Lächeln und fügt eine Bemerkung hinzu. „Da ich mit 28 Jahren aus Brasilien hierherkam, habe ich dort ein Leben gehabt und den anderen Teil meines Lebens habe ich hier. Lass uns sehen, ob es hier zu Ende geht (in Berlin)“, scherzt Aloísio. Mit der Reife eines Menschen, der die 50 hinter sich gelassen hat, weiß er, dass das Leben in Bewegung ist. Deshalb ist es voller Höhepunkte und Niederlagen. Hände nach oben, zur Seite, nach unten, so setzt er die Kreation seiner Choreographie fort.

 

Reportage und Fotos: Enio Moraes Júnior (emoraesj@uol.com.br)

Übersetzung: Alexander Pribb (a.pribb@web.de)

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Enio Moraes Júnior

Enio Moraes Júnior ist ein brasilianischer Journalist und Professor. Seit 2017 wohnt er in Berlin. In der Hauptstadt arbeitet als Portugiesisch Lektor und schreibt über Auslander welche die Berliner Straßen bevölkern.

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