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MAGAZIN

“Terra de Ninguém”, von Salomé Lamas

Foto: "Terra de Ninguém", Salomé Lamas © O Som e a Fúria 2012

Ein 66-jähriger Mann, eine gebrechliche Erscheinung, richtet seinen entwaffneten Blick auf uns und beginnt seinen Vortrag. „Ich studierte Elektroingenieurwesen, anschließend ging ich zum Militär und seitdem lebte ich mein Leben als Söldner.“ So beginnt  Salomé Lamas‘ Film „Terra de Ninguém/Niemandsland“, welcher seine internationale Premiere bei der Berlinale feierte, nachdem er bereits vier Preise beim Filmfestival DocLisboa gewann (unter anderem für den Besten Film und den Publikumspreis).

Ein Söldner eines Elitekommandos während des Kolonialkriegs in Mosambik und später in Angola, der nach dem 25. April im portugiesischen Wachdienst arbeitete und später als Auftragsmörder für CIA und GAL (eine bewaffnete Gruppe der spanischen Regierung unter Felipe Gonzáles, die sich auf die Bekämpfung der ETA konzentrierte).

Der Dokumentarfilm schockt durch den abgrundtiefen Kontrast zweier Realitäten: die des gebrechlichen Mannes und die seiner grauenvollen Geschichten, die er uns erzählt. Er schockt durch die Ruhe, mit der wir den größten Ungeheuerlichkeiten lauschen, dem Rassismus, der Gewalt, der vorsätzlichen Grausamkeit. Er schockt auch, da er sich in einen so volkstümlich gewordenen Diskurs flüchtet, welcher Erbe des jahrhundertelangen Kolonialismus ist und durch den Salazarismus retuschiert wurde. Der portugiesische Kolonialismus sei demnach besser gewesen als alle anderen – sanfter, freundlicher. Und im portugiesischen Fall wurden Massaker durch Annäherung mit dem Volk ersetzt worden. Der Dokumentarfilm von Salomé Lamas, minimalistisch in seiner Form, laut aufschreiend in seinem Inhalt, zeigt er eine Facette des Kolonialismus wie wir sie weiterhin nicht sehen wollen.

Und sie ist eine Lüge, die wir schon seit Jahrhunderten mit uns herumschleppen. In ihrem Buch „Ministros da Noite“ („Minister der Nacht“) präsentiert die Autorin Ana Barradas eine Sammlung von Texten, die im Laufe der 500-jährigen Geschichte die Lügen des so sanften Umgangs und den Schwindel über die „Annäherung mit dem Volk“ aufdecken. Über Jahrhunderte herrschte notorische Grausamkeit, die festgeglaubte Überlegenheit der Weißen, der kolonialistische Paternalismus, die Notwendigkeit einer Kolonialisation, die von links- und rechtsgerichteten Parteien ausgeübt wurde, um in ferner Zukunft die armen Seelen erziehen und bilden zu können.

In „Niemandsland“ wird dieser Diskurs, der in jedermanns Unterbewusstsein verwurzelt ist, unverschleiert von einem Mann zur Schau gestellt, der es beinahe schafft uns zärtlich wach zu rütteln. Die Kindheit hat er zwischen Angola und Portugal hin- und herpendelnd verbracht („Angola war wunderbar. Portugal weiß nicht, was es verloren hat“, erinnert er sich mit Sehnsucht). Als Erwachsener empfand er die schlimmsten Gräueltaten des Militärs als normal: „Wir schmückten unsere Gürtel und die Geländewagen mit Ohren und Nasen der Schwarzen, um in den Senzalas (Sklavensiedlungen) zu demonstrieren, wer das Sagen hatte und was die Rückzahlung sei“, falls sie aufrührerisch werden sollten. „Niemals nahmen wir jemand in Gefangenschaft, wir töteten ausschließlich“. Uns muss bewusst sein: wir sprechen über die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts.

Die Dokumentation fährt in einer bizarren Mischung aus Treuherzigkeit und Grausamkeit fort. Der Ex-Söldner macht aus seinem Groll gegenüber dem 25. April kein Geheimnis: „Niemand aus der Truppe in Angola feierte den 25. April.  Es gab nicht eine Person, die eine Nelke in sein Gewehr steckte.“ Und er bedauert weiter: „Alles vom Portugiesen geschaffene Schöne wurde von ihnen zerstört [den Angolanern]. Das sind mir ein paar Stammestreue. Die hatten nicht die leiseste Ahnung was es bedeutete, eine Waffe zu tragen. Die liefen durch die Gegend und schossen gegenseitig auf sich.“

Nachdem der Unabhängigkeitskrieg vorbei war, kehrte Paulo Figueiredo nach Portugal zurück, wo er als persönlicher Wächter einiger Unternehmen und Persönlichkeiten arbeitete, wie beispielsweise Kaúlza de Arriaga und Sá Carneiro. Später wurde er von der CIA kontaktiert, um einige „Liquidationen“ (sprichwörtlich Morde) in El Salvador und anderen lateinamerikanischen Staaten zu vollziehen. Schließlich arbeitete er für die GAL – eine Organisation antiterroristischer Befreiungsgruppen, die zwischen 1983 und 1987 von der spanischen Regierung finanziert wurde, um den Terrorismus der ETA zu bekämpfen, welcher als „Staatsterrorismus“ bekannt werden sollte. Die Existenz der GAL wurde von dem Richter Baltasar Garzón untersucht und öffentlich gemacht („er war ein Richter, der sich in die Politik einmischen wollte und nutzte die ETA und die GAL als Einstiegstor“, erzählt Paulo Figueiredo deutlich). Dies endete in einem Skandal, der die Regierung der PSOE (Spanische Sozialistische Arbeiterpartei) zum Einsturz brachte. Paulo Figueiredo wurde verhaftet und vor Gericht zu 30 Jahren Gefängnis verurteilt, was (auch aus politischen Gründen) ein Exempel statuieren sollte. 15 Jahre saß er ab. „Ich verbrachte 23 Stunden am Tag eingeschlossen in einer Zelle ersten Grades und starrte auf den Fernseher“, erinnert er sich.

Und was geschah danach? Ausgerechnet dieser Mann, der seine Arbeit als „eine ganz gewöhnliche Beschäftigung“ betrachtet und der bei seiner Rückkehr nach Afrika das Bedürfnis verspürte in die Notaufnahmen der Krankenhäuser zu gehen, um Personen bluten zu sehen („das verpasst einem einen Adrenalinstoß, die Energie steigt und tritt ins Blut“), derjenige, der Männer, Frauen und Kinder niedermetzelte, erlebte den Niedergang seines Lebens als Obdachloser ironischerweise in Gesellschaft eines afrikanischen Flüchtlings unter einer Brücke.  Einmal mehr führt uns Salomé Lamas‘ Dokumentarfilm an die Grenze zur Perplexität: man sieht die beiden im Duett singenden Männer eines angolanischen Lieds („Mädchen, wer macht das Abendessen? Benimm dich!“), in einer Szene voll häuslicher Harmonie unterhalb eines mit Plastiktüten und Kanister vollgestopften Viadukts – eine Szene fast zu real um wahr zu sein.

Wir verlassen den Film mit dem Gefühl eine Mauer in unserem Magen zu tragen. Ist das vielleicht der Anfang einer bewussten Debatte über das wahre Gesicht des Kolonialismus? Wir hoffen es.

 

Text: Ines Thomas Almeida

Übersetzung: Alexandra Berg

 

 

  

 
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Ines Thomas Almeida

Inês Thomas Almeida wurde in der Dominikanischen Republik geboren und wuchs in Portugal als zweisprachiger und dualer Staatsbürger auf. Sie zog nach Deutschland, um an der Hochschule für Musik und Theater Rostock Gesang zu studieren. Einige Jahre nach ihrer Niederlassung in Berlin gründete sie das Online-Magazin Berlinda (2010) und später das Berlinda Festival (2012).

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