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MAGAZIN

"O dia que durou 21 anos": Interview mit Camilo Tavares und Karla Ladeia

Foto: Links - Camilo Tavares © Promo. Rechts - "O dia que durou 21 anos" © Promo

Im Rahmen von Prèmiere Brasil traf Berlinda den Regisseur Camilo Tavares und die Produzentin Karla Ladeia von O dia que durou 21 anos für ein Interview.

BERLINDA: Camilo, zu Beginn wollten Sie einen Film über Ihren Vater machen. Wann und wie änderte sich das?

CAMILO TAVARES: O dia que durou 21 anos hat als persönliche Suche begonnen. Ich wollte verstehen, warum ich in Mexiko geboren bin und so lange nicht in Brasilien leben konnte. Ich bin im Exil geboren. Ich wollte verstehen, was passiert war. Denn in Brasilien wird in der Schule sehr wenig über die Jahre des Militärregimes gesprochen. Während der Recherche hatten wir dann Zugang zu top secret Dokumenten aus dem Weißen Haus und vom CIA, von den Militärs des Joint Chiefs of Staff, die auf eine Verschwörung hindeuteten. Die Dokumente erschienen uns so wichtig, dass wir die Grundidee des Filmes veränderten.

B: Was waren die großen Neuigkeiten, die Sie aufdeckten?

CT: Manches war schon bekannt. Zum Beispiel wusste man über die Flotte der Operation Brother Sam Bescheid. Aber man wusste keine Details über den Ablauf der Verschwörung und über den Grad der US-Beteiligung. Vor allem der von Kennedy. Die USA waren sehr gut informiert, sowohl militärisch, als auch darüber, was in der Gesellschaft passierte, als auch über die Medien; sie finanzierten Abgeordnete, gaben Gelder an Senatsmitglieder des Kongresses, an religiöse Gruppen wie der Kundgebung der Familien und Gott für die Freiheit, gegen den Kommunismus. Es gab massive Propaganda, die Medien aller Zeitungen wurden gekauft. Und das kommt in den Telegrammen sehr gut raus. Der [brasilianische] Botschafter [Gordon] stand in engem Kontakt mit dem Weißen Haus und in einem dieser Gespräche bittet Gordon um 12 Millionen Dollar. Kennedy sagt: Nein, das ist zu viel. Aber Gordon antwortet: Wir können Brasilien in diesem Moment nicht verlieren.

Das ist während des Kalten Krieges, Cuba, …

 

B: Im Film zeigen Sie eine Verbindung zwischen dieser anti-kommunistischen Propaganda und wirtschaftlichen statt rein ideologischen Interessen auf.

CT: Die wirtschaftlichen Interessen sind sehr wichtig. Anhand der Dokumente sehen wir, dass Kennedy Goulart stürzen will als die ITT [US Telekommunikationsunternehmen] und die AmForP [American Foreign Power Company] von Leonel Brisola in Rio Grande do Sul, also von der brasilianischen Regierung, verstaatlicht werden. Das gefällt Kennedy nicht. Es gibt ein Telegramm, in dem er konstatiert, dass die Verstaatlichung von ITT und AmForP eine starke Bedrohung der amerikanischen Wirtschaftsinteressen darstellen. Von da an, fährt Kennedy einen sehr klaren Kurs der Einschüchterung gegen Goulart.

Es gibt ein Schlüsselmoment, als Goulart den Militärstützpunkt in Offutt besucht, eine Militärbasis mit der nuklearen Stärke, die Welt zu zerstören. Das ist das erste Signal, schon 1962.

Und dann kann man sehr deutlich Gordons Strategie beobachten, wie er die amerikanische Öffentlichkeit und das Weiße Haus überzeugen will, dass Brasilien auf dem Weg zum Kommunismus ist. Das CBS [Das Columbia Broadcasting System] spielt eine wichtige Rolle dabei, wie das Gespenst des Kommunismus in den USA erfunden wurde. Und in Brasilien wurde es über die nationalen Medien erfunden. Der Mythos, dass Goularts reformas de base[Reformen, die v.a. die gerechtere Verteilung von Landbesitz regeln sollten] dem Privateigentum ein Ende setzen würden – das geschah alles um die Regierung Goulart zu schwächen.

Und es ist lustig, wie diese Strategie der USA normal vorkommt. Sie haben diese Chaos-Formel. Das ist in Brasilien passiert, in Chile, …

KARLA LADEIA: Und geschieht noch heute. 50 Jahre später ist die Außenpolitik die selbe. Immer geht es ums Geld. Auch beim Putsch in Brasilien und als tausende Folterungen passierten, Gefangennahmen usw.. Damals unterstützten die Führungskräfte der Handelskammer, also internationale amerikanische Unternehmer, voll und ganz den Militärputsch.

B: Karla, Sie haben gesagt, dass die Außenpolitik weitergeht wie gehabt. Sicher beziehen Sie sich da auch auf Mittel, die die USA im Umgang mit anderen Ländern anwenden, die wenig demokratisch scheinen, wie etwa die Überwachung der NSA von Angela Merkel oder der brasilianischen Präsidentin Dilma Rousseff?

KL: Ja, genau. Und nach 50 Jahren herrscht auch immer noch die selbe Rhetorik: Alles geschieht im Namen der Freiheit und der Demokratie.

 

B: Es kommt mir so vor, als gäbe es im Moment ein größeres Interesse an der eigenen Geschichte und an der Diskussion über die Vergangenheit in Brasilien, auch über Dinge, die vielleicht nicht so optimal gelaufen sind. Man schaut auch auf die dunkleren Seiten der Geschichte und des Lebens in Brasilien – man denke an die großen Demonstrationen, an kritische Stellungnahmen in der Kunst, wenn man zum Beispiel die Rede von Luiz Ruffato zur Eröffnung der Frankfurter Buchmesse nimmt.

CT: Nach 12 Regierungsjahren, die, sagen wir mal, linksgerichtet sind – also nach Fernando Henrique [Cardoso], Lula und jetzt [Dilma] Rouseff – gibt es nun endlich einen stärkeren Anstoß der Regierung und der Gesellschaft, die Geschichte neu zu schreiben. Die Wahrheitskommission etwa hat ihre Ziele nicht erreicht und ist sehr zurückhaltend geblieben. Einerseits gibt es ein erwachendes Interesse für das Thema und die Regierung kümmert sich darum. Aber auf der anderen Seite gibt es noch immer große Scheu davor, die Wunden zu öffnen. Da kann uns Deutschland noch einiges beibringen zur Geschichtsaufarbeitung ohne Furcht vor den Gespenstern der Vergangenheit.

In Brasilien begreifen die Leute erst 50 Jahre später, wer die großen Figuren während der Militärdiktatur waren, also nicht nur die USA, sondern auch die großen brasilianischen Geschäftsleute, …

KL: In Brasilien wurde allen Leuten Amnestie gewährt, auch den Folterern. Wir haben nicht diesen Blick in die Vergangenheit entwickelt, auf die eigenen Wunden, um sie heilen zu können. Und damit es sich nicht wiederholt. Die Archive sind zum Beispiel noch großteils verschlossen. Es gibt keine totale Aufklärung.

B: Ihr Film hat viele Preise gewonnen, aber wenn man diese Scheu bedenkt, von der Sie sprachen, und dann noch bedenkt, dass es Dokumentarfilme in Brasilien generell schwer haben, möchte ich gerne wissen, wie ihr Film beim brasilianischen Publikum ankam.

KL: Mit Applaus! Wir haben den Film in 18 brasilianischen Großstädten in den Kinos gezeigt, von März bis September; eine brasilianische Doku so lange im Kino, ohne irgendwelche Filmverleihe – das ist schon eine große Sache!

Um noch ein Beispiel zu geben: Bei der Premiere waren hohe Militärs anwesend, also die Leute vom Militär, die wir auch für den Film interviewt hatten, also politisch rechts, aber auch viele Linke, wie etwa die Tochter von Prestes [Luís Carlos Prestes, ehem. Generalsekretär der Kommunistischen Partei Brasiliens, PCB]. Und alle fanden den Film richtig gut. Viele Militärs wussten auch nichts von einer solchen Verstrickung der USA.

CT: Und wir wollten ja auch einen Film machen, der den Dialog ankurbelt. Deshalb haben wir uns bemüht, die zu interviewen, die João Goulart gestürzt haben, um zu sehen, was sie eigentlich damit bezweckten. Und es wurde deutlich, dass die Strategie [der USA] aufgegangen war, João Goulart als gefährliche Person und als Kommunist zu verunglimpfen.

B: Sie haben grade davon gesprochen, den Dialog zu befördern. In "O dia que durou 21 anos" provozieren Sie die Diskussion auch durch den Einsatz spezieller filmischer Stilmittel. Können Sie das ein wenig erläutern, bitte.

CT: Die große Herausforderung war für uns, einen Dokumentarfilm zu machen, der die Jugend ansprechen würde. Wie kann man ein geschichtliches Thema ins Jetzt holen?! Die Montage, der Schnitt und die Erzählhaltung sollten unterhalten, einen Rhythmus haben, der an Action- oder Agentenfilm erinnert und junge Zuschauer fesselt. Der Film wurde erst für das brasilianische Fernsehen produziert – und dann investierten wir noch mehr Zeit und Recherchearbeit für den Dokumentarfilm. Es entstanden also zwei unterschiedliche Produkte. Die große Herausforderung ist jetzt, dass der Dokumentarfilm in Schulen und Universitäten gezeigt wird.

KL: In den USA und in Brasilien wird man den Film als Lehrmaterial und Recherchematerial nutzen.

 

CT: Um die Geschichte aufzuarbeiten, aber auch, um die Geschichte mit aktuellen Themen zu verbinden – die João Goulart schon vor 50 Jahren problematisierte: Landreform, Bildung, Verstaatlichung großer Ölunternehmen, … alles große Themen, die sehr aktuell sind. Was wir also sehen, ist dass es in der Geschichte noch nicht viel Weiterentwicklung gab. It’s still a long way.

KL: Aber das Wichtige ist doch, die Wunde wahrzunehmen und einzugestehen: ja, das war schlimm, aber wir sehen nach vorn.

B: In diesem Sinne: Viel Erfolg für die Zukunft und für die Aufarbeitung der brasilianischen Geschichte.

 

 

Herzlichen Dank an Camilo Tavares und Karla Ladeia, sowie ans HKW.

Das Interview führte und übersetze Barbara Bichler.

 

 

  

 
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