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MAGAZIN

Mariza: “Die wahren Botschafter Portugals sind die Portugiesen im Ausland”

Foto © José Goulão

In der jüngeren Geschichte des Fados gibt es ein Vor und ein Nach Mariza. Als 2001 ihr erstes Album Fado em Mim auf den Markt kam, waren sogleich die Auswirkungen des gewaltigen Umbruchs, den es hervorrief, zu bemerken: Mariza entstaubte den Fado, erweckte die „Severa“* wieder zum Leben, warf die Flagge des Estado Novo fort und ebnete den Weg für eine persönliche und moderne Interpretation einer Musik, die ihr in der Seele liegt. Zwölf Jahre, fünf Alben und viele Welttourneen später, von den Kritikern einhellig gelobt und inzwischen Mutter eines Sohnes, kehrt die Diva der Weltmusik für zwei Konzerte nach Berlin zurück. Im telefonischen Interview mit BERLINDA spricht Mariza über die Anstrengung, das Künstlerleben mit dem Mutterdasein zu vereinen, erzählt von ihrer Vorliebe für Berlin, und erklärt warum die Portugiesen im Ausland stolz sein dürfen.

 

BERLINDA: Warum Fado?

MARIZA: Ich glaube, ich hatte keine Wahl. Ich wuchs in einem typischen Stadtviertel auf [die Mouraria, in Lissabon] wo alle Fado sangen, und es kam mir nie in den Sinn etwas anderes zu tun. Man denkt nicht darüber nach, es geschieht einfach. Es war einfach da. Ich singe Fado seit ich 5 Jahre alt war, in meinem Viertel gab es nur den Fado. Ich erinnere mich an mein erstes Fado-Stück, aber an mein erstes Spielzeug erinnere ich mich nicht. Meine Mutter zeigte mir andere Musikstile, aber was ich in der Taverne meiner Eltern singen hörte, war der Fado. Deshalb war es das natürlichste der Welt, dass auch ich Fado sang.

B: Ihre Wurzeln liegen in Mosambik. Wie viel davon steckt in Ihrem Gesang?

M: Das weiß ich nicht. Ich bin in Mosambik geboren, aber in Lissabon, in Portugal aufgewachsen. Meine mosambikanische Mutter versuchte mir irgendwie einige ihrer Wurzeln zu vermitteln. Aber meine Erfahrungen sind sehr geprägt von Lissabon, sehr portugiesisch. In den letzten Jahren war ich jedes Jahr in Mosambik, um meine Familie zu besuchen und um meine afrikanische Seite mehr zu entdecken. In Lissabon gibt es jedoch auch das, was wir Lusophonie nennen, und ich war immer von afrikanischen Musikern umgeben, aus den Kapverden, Angola, Guinea-Bissau… Diese afrikanische Seite hat mich immer interessiert. Vielleicht ist das auf irgendeine Weise diese „Afrikanität“, die ich möglicherweise in meine Musik einbringe.

B: Gerade eben, während wir dieses Interview machen, sind Sie für Auftritte im Oman. Wie wird die portugiesische Musik dort aufgenommen, in so einer anderen Kultur? Wie sind die Reaktionen des Publikums?

M: Gestern noch saß ich mit dem Portugiesischen Botschafter im Oman zusammen, wir sprachen über portugiesische Worte, die aus dem Arabischen kommen. Aber es passiert auch in der Gegenrichtung: Auf Arabisch heißt z.B. Orange „portucale“. Es gibt verschiedene Theorien für die Erklärung dieses Wortes, zum Beispiel dass es daher kommt, dass an der Algarve viele Orangen wachsen [oder die Tatsache, dass es die Portugiesen waren, die die Orangen aus China, woher sie ursprünglich stammen, nach Europa brachten. Anm. d. Hrsg.]. Es gibt viele Theorien. Die gegenseitigen Einflüsse sind auf jeden Fall da. Die Musik vermag es, Menschen zu vereinen, auch wenn sie aus unterschiedlichen Kulturen kommen oder verschiedene Religionen oder politische Überzeugungen haben. Musik ist eine Religion. Ich habe schon in den verschiedensten Ländern der Welt gesungen – in China, in Australien, in Ägypten, hier im Oman ist es mein erstes Mal, aber es ist nicht das erste Mal im arabischsprachigen Raum. Ich finde es fantastisch, festzustellen, dass die Musik keine Sprache braucht, sie dringt einfach in die Menschen ein, obwohl sie die portugiesische Sprache nicht verstehen. Und das schafft der Fado, er bewegt die Gefühle der Menschen, und sie verstehen es, ohne dass sie die Sprache verstehen müssen.

B: Wenn die Musik eine Religion ist, was ist dann für Sie der Fado?

M: Er ist meine zweite Religion, denn meine erste, die ist Gott.

B: Das ist ihre erste Europatournee, nachdem Sie Mutter geworden sind. Was hat sich verändert?

M: Ja, es ist die erste Europatournee, aber nicht meine erste Tournee. Ach, es hat sich ganz viel verändert… Alles ist jetzt anders. Ich habe gemerkt, dass ich nicht alleine bin. Vorher war ich es, obwohl ich Vater und Mutter habe. Ich habe keine Geschwister, ich bin Einzelkind. Aber ich hatte vorher nichts, was sich an mich klammerte. Es gab nur die Musik, die mich atmen und leben ließ, die mein Herz zum Schlagen brachte. Alles andere war mir egal. Für mich ist es heute schwierig, ohne Musik zu leben, ohne sie kann ich nicht atmen – aber ohne meinen Sohn kann ich es auch nicht. Und so trage ich ein geteiltes Herz in mir. Wenn ich zu Hause bin, bin ich traurig weil ich nicht auf der Bühne stehe, und wenn ich auf der Bühne bin, bin ich traurig weil mein Sohn nicht da ist. Ich habe also immer ein gebrochenes Herz.

B: Jemand hat einmal gesagt, Kinder zu haben sei wie sein Herz für immer außerhalb des Körpers zu tragen…

M: Meinen Sohn zu bekommen, war das Beste was mir passieren konnte. Ich wollte nie Kinder haben, es ist einfach passiert. Jetzt, wo ich Martim habe, habe ich Gefühle in mir entdeckt, von deren Existenz ich nicht die geringste Ahnung hatte.

[Das Gespräch wird vom Läuten des Telefons unterbrochen. Mariza entschuldigt sich kurz, um den Anruf anzunehmen. Es ist das Gesundheitszentrum, das einen Termin für Ihren Sohn ausmachen möchte. „Ich bin im Oman. Nein, im O-man. Hören Sie, wenn ich wieder in Lissabon bin, komme ich vorbei, ok?” Ein bisschen Alltag zwischendurch.]

B: In Berlin geben Sie zwei Konzerte. Mögen Sie die Stadt? Erinnern Sie sich an irgendein Erlebnis, dass Sie dort hatten?

M: Berlin ist eine faszinierende Stadt, denn hier vermischen sich mehr und mehr die unterschiedlichen Kulturen. Und alle Städte, in denen Kulturen sich mischen, sind faszinierend. Vielleicht stelle ich mich da ein wenig ins Rampenlicht, denn ich bin ja selbst ein Mischling… aber ich bin überzeugt, dass die Vermischung der Kulturen nur Vorteile bringt. Berlin fasziniert mich auch weil ich Kunst liebe, und in Berlin stoße ich auf fantastische Dinge, die ich nirgendwo sonst finde. Ich liebe diese ganze – wie soll ich sagen – diese ganze freie Szene, das Alternative, alles was sich außerhalb des Klassischen bewegt. Die ganze Stadt selbst ist in sich sehr verschieden. Man fährt von einem Ort der Stadt an einen anderen, und es sieht komplett anders aus, man scheint auf einmal in einer anderen Stadt zu sein. Nichts ist gleich.

Ich erinnere mich, wie ich es einmal schaffte, abends in Berlin auszugehen. Ich kam in einen riesigen Club, in dem außergewöhnliche Kunstwerke hingen, die Leute saßen draußen zum Essen oder Trinken… schließlich ging es noch weiter in einen anderen Club, wo ich Salsa tanzte. Und ich dachte, wer hätte sich vorgestellt, dass es in Berlin, in Deutschland, so etwas gibt? Aber es gibt es, zum Glück gibt es das.

B: Und wir, die Vertreter der portugiesischsprachigen Gemeinschaft heizen den Kessel der Kulturen noch ein wenig weiter an…

M: Das ist toll! Ich sage Ihnen eins: Die Portugiesen, die ins Ausland gehen und ein besseres Leben woanders suchen, sind die die wahren und die größten Botschafter Portugals. Sie dürfen zu Recht stolz sein. Ich bin stolz, und zwar mehr und mehr, wenn ich im Ausland auf Portugiesen treffe. Sie sind die beste Flagge, die wir haben können. Denn die Portugiesen im Ausland verhalten sich vorbildlich. Ihre Art zu leben ist einfach wunderbar. Sie gehören zu den wenigen Gemeinschaften, die unsere Traditionen noch pflegen. Sie feiern weiter die Feste, essen Stockfisch, backen Pastéis de Nata, das ist unglaublich. Das finde ich faszinierend. Man findet alle Typen, sie lieben es gegrillte Sardinen oder eine bifana [Schweineschnitzel im Brot. Anm. d. Ü.] zu essen, keiner schämt sich dafür. Das ist doch lobenswert. Wenige Gemeinschaften machen das, die meisten verstecken sich. Aber der Portugiese tut das nicht. Ich finde das bemerkenswert, unglaublich, deshalb wiederhole ich mich: die großen Botschafter Portugals sind die Portugiesen, die auswandern. Viele Leute mögen keinen Fado, aber wenn sie Portugal verlassen, fangen sie an ihn zu mögen.

B. Das ist vor allem Ihnen zu verdanken. Vor Ihnen galt der Fado als etwas Verstaubtes. Heutzutage, dank Ihnen, ist der Fado modern, unterhaltsam, und wird von einer jüngeren Generation mit ganz anderen Augen gesehen. Sind Sie sich bewusst, dass Sie der entscheidende Faktor in dieser Wende des Fado waren?

M: Ich bin 40 Jahre alt. Als ich klein war, war der Fado nur bei alten Leuten beliebt. Niemand sonst mochte ihn, denn Fado hatte das Stigma, die Musik des früheren Regimes zu sein. Französische Musik hingegen war toll, dann gab es die Musik aus England, aber niemals beachtete man das, was von uns kam und was so reich war. Seit einiger Zeit ist eine neue Generation entstanden, die den Fado so singt, wie Portugal heute ist, und damit können sich die Menschen identifizieren. Wer hätte jemals gedacht, dass es irgendwann eine Fado Sängerin mit kurzen blonden Haaren geben würde?

B: Genau das haben Sie doch bewirkt, das war dieser Wendepunkt…

M: Ich denke, das kam mit der Zeit. Ich bin zu einem guten Zeitpunkt dazu gekommen, in dem die Leute aufmerksamer waren, und dann ist es einfach passiert. Es hätte jede andere Person sein können, aber ich war diejenige. Ich bin froh dass es so passiert ist. Als ich vor zwölf Jahren mein erstes Album aufnahm, wollte es keine Plattenfirma haben, also gab es in Portugal keine Chance. Man sagte mir oft: Fado verkauft sich nicht. Und doch hat sich mein erstes Album allein in Portugal 120000 Mal verkauft. Keine andere Fado Platte hatte sich zuvor so gut verkauft. Von da an wurden die Menschen – und vor allem die Plattenfirmen – aufmerksamer. Heute gibt es eine Reihe von fantastischen Menschen, die sich um den Fado kümmern, sie singen ihn, studieren ihn. Wir haben ein Fado Museum in Lissabon, unser ganzer Stolz. Man kann dort das historische Erbe des Fado kennenlernen, kann lernen, die portugiesische Gitarre zu spielen und zu bauen, der Fado gehört jetzt auch schon zum Weltkulturerbe der Menschheit… ich denke, dass all das in uns einen Stolz auf eine Musik hervorgebracht hat, die wir immer noch nicht gut kennen. Ich gehe oft in Schulen, um dort zu unterrichten, und bin erstaunt darüber, dass die Kinder nichts, aber auch gar nichts über Fado wissen. Wenn ich Ihnen dann sage, dass die Fadosänger zur damaligen Zeit Jeansjacken trugen und Tattoos hatten, fangen sie an sich dafür zu interessieren und den Fado dann vielleicht doch zu mögen. Ich erzähle ihnen, dass der Fado so eine Art Hip Hop war, eine halb revolutionäre Sache, um die Aufmerksamkeit auf die heutigen Geschehnisse zu lenken… Da fangen sie dann an, es zu mögen. Es ist sehr wichtig, wie man den Menschen den Fado näherbringt, wie man ihn zeigt. Genau das ist in den letzten Jahren passiert – man ist da jetzt aufmerksamer.

* [port. Fadosängerin des 19. Jhds. Anm. d. Ü.]

Das Interview wurde von Inês Thomas Almeida am 02.10.2013 geführt.

Übersetzung: Johannes Reiss

Mariza in Berlin

12. und 13. Oktober 2013

Haus der Kulturen der Welt

 

  

 
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Ines Thomas Almeida

Inês Thomas Almeida wurde in der Dominikanischen Republik geboren und wuchs in Portugal als zweisprachiger und dualer Staatsbürger auf. Sie zog nach Deutschland, um an der Hochschule für Musik und Theater Rostock Gesang zu studieren. Einige Jahre nach ihrer Niederlassung in Berlin gründete sie das Online-Magazin Berlinda (2010) und später das Berlinda Festival (2012).

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