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“Batuque”, das drei Kontinente zusammenbringt
Foto: Links - Dubio und João Xavi © Tai Linhares. Rechts © Ana Vaz
Zwei DJs bringen die musikalischen Spuren der afrikanischen Diaspora ans Licht.
In einem improvisierten Studio in einem Hausprojekt in Berlin-Friedrichshain bereiten sich zwei DJs auf die Aufnahme einer Radiosendung vor. „Hast du den Adapter mitgebracht?“, fragt der eine und untersucht dabei das Kabel. „Man hat es vergessen“, antwortet der andere, während er den Rucksack durchsucht. Die Vignette der Sendung besteht aus einer Mischung der Musik Fela Kutis und einer Aussage eines brasilianischen Komikers aus den 80er Jahren. Die Sendung „Batuque Low-fi“ fängt bereits an. Nachdem sie Nara Leão, eine Bossa Nova Sängerin, und Rage Against the Machine gespielt haben, begrüßen die DJs ihre Hörer im Monat Mai, Monat der Arbeiter.
„Batuque Low-fi“ ist ein musikalisches, philosophisches Projekt, in dem nur Platten aufgelegt werden (100% analog!). Hinter dem DJ-Pult stehen João Xavi, aus Rio de Janeiro-Brasilien, und Dubio, aus Aveiro-Portugal, deren Musik als „Diaspora-Musik“ bezeichnet wird, Musik, die aus Afrika stammt. Darunter versteht man viele Begriffe, wie zum Beispiel brasilianische Musik, Afrobeat, Soul, Jazz, Reggae, Samba und Funk, sowohl der nordamerikanische Rhythmus als auch der, der in Rio produziert wird. Seit Juli 2013 legen sie hauptsächlich in Berlin auf Partys und Festivals auf. Die Sendung wird seit 2014 monatlich im Webradio Stress.fm und seit 2015 im Kellerwelle.com ausgestrahlt.
Nach der Aufnahme, die die Sendung #10 ins Leben gerufen hat, haben wir über den politischen Inhalt ihrer Musik-Sets und die Kritik gegen den Kolonialismus durch das Kulturerbe der afrikanischen Musik gesprochen. Die beiden DJs sehen über die Rivalität zwischen Brasilien und Portugal hinweg und können auch kulturelle Gemeinsamkeiten benennen. Sie weisen auf die Notwendigkeit einer Geste der Solidarität hin, die sich außerhalb der Muster der Beherrschung und Unterdrückung entwickelt.
Hier können Sie den Interview auf Portugiesisch hören:
Berlinda (B): Wie habt ihr euch kennengelernt und wie seid ihr auf die Idee gekommen, zusammen aufzulegen?
João Xavi (J): Wir haben uns beim Deutschkurs kennengelernt.
Dubio (D): Naja, ich muss dich unterbrechen. Die Geschichte hat früher angefangen. Ich war bei einem Konzert von João und er hat meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen.
J: Er fing an, mit mir zu flirten!
D: Und erst später haben wir uns dann im Kurs getroffen.
J: Durch einen meiner Kommentare ist ihm klar geworden, wer ich war. Dann kamen wir ins Gespräch über Musik und Platten… so war’s.
B: Was für eine schöne Liebesgeschichte! Nun erzählt mir mal: Warum legt ihr mit Platten und nicht digital auf?
D: Diese Frage stellen wir uns immer, wenn wir die Platten irgendwohin tragen müssen.
J: Das ist, um zu zeigen, wie stark wir sind. (Lachen)
D: Es liegt an unserer Leidenschaft für ältere Dinge, in diesem Fall die Schallplatten, für die Klangqualität, für den Gegenstand selbst und für einen anderen Lebensrhythmus.
J: Ja, für die Abspieldrehzahl 33½ oder 45. Es ist echt romantisch, es gibt keinen rationalen Grund dafür. Man sagt, dass der Klang des Vinyls besser sei als der anderer Medien. Ich glaube das auch, aber ich kann meine Meinung nicht technisch begründen. Da die Musik einer Platte in gewisser Weise erst erobert werden muss, würde ich sagen, dass diese Leidenschaft fast so etwas wie ein Fetisch ist. Man muss seine Plattensammlung durchsuchen, daher auch die Wendung „digging“. Man gräbt, bis man das Goldkorn findet.
B: Welche eurer Platten besitzt ihr am längsten?
J: Bei mir ist es eine Platte von Racionais Mcs, einer brasilianischen Rap-Band, deren Scheibe „Raio X do Brasil“ 1993 veröffentlicht wurde. Ich habe sie sofort gekauft, als sie herauskam, in einem Laden namens „Lojas Brasileiras“ in São João de Meriti, den es schon lange nicht mehr gibt.
D: Das Anhören eines Vinyls hat etwas Ritualhaftes: du legst die Nadel auf die Platte, wählst das Lied aus und lässt dann die Platte laufen.
B: Wie hängt die Musik, die ihr spielt, mit dem Namen eures Projekts zusammen, „Batuque Low-fi“?
J: Es ist ein Scherz mit dem Begriff „hi-fi“, also High Fidelity, der die heutige Zeit prägt. Im Zeitalter des Hi-Fis haben Bilder eine hohe Auflösung, alles sieht perfekt aus. Das Vinyl hat das charmante Rauschen. Uns gefällt es sehr, weil es das echte Leben widerspiegelt, das unvollständig und geräuschvoll ist.
D: Außerdem wurde ein Großteil der Musik, die wir auf Partys auflegen, vor langer Zeit produziert und steht nicht als MP3 zur Verfügung. Bezüglich „Batuque“…
J: In Brasilien steht dieses Wort für alles, was mit Percussion zu tun hat.
D: In Portugal auch.
J: Gut zu wissen. (Lachen)
B: Wie wählt ihr aus, welche Stücke ihr bei einer Party spielt?
J: Das ist ein interessanter Prozess, weil wir meistens zusammen auflegen. Im DJ-Jargon heißt das „back to back“, das heißt wir spielen jeweils abwechselnd. Das ist schon eine große Herausforderung.
D: Für uns ist es eine Art Dialog. Der eine legt etwas auf und der andere hört gespannt zu?, um entscheiden zu können, was er als nächstes auflegt. Es macht Spaß, es entsteht spontan und wir haben kein im Voraus festgelegtes Set. Es hängt auch davon ab, ob die Party ein Konzept hat. In diesem Fall wählen wir passende Platten aus. Aber was wirklich zählt, ist der Dialog, über den wir gerade gesprochen haben.
B: Können alle Arten von Musik low-fi sein?
D: Nein, für uns stellt „Batuque Low-fi“ Musik dar, die irgendwie mit Afrika zu tun hat und mit der Diaspora in Verbindung steht, unabhängig davon, ob sie in Europa, in Brasilien oder in Nordamerika produziert wurde. Sei es Afrobeat, Funk…
J: „Batuque“ bezieht sich grundsätzlich auf Afrika, egal ob es Funk, Dub, Soul, Samba, Reggae, Tropicália oder sogar elektronische Musik ist.
D: Wir beschränken uns also bei der Musikauswahl auch nicht auf einen bestimmten Zeitraum.
B: Wo wir gerade beim Thema Kolonialismus, Dekolonisierung und Postkolonialismus sind: Wie können wir die Musik, die ihr spielt, in einen historischen Zusammenhang stellen?
J: In der Schule lernen wir, was Kolonialismus und Sklaverei bedeuten. Trotzdem fördert die Musik eine andere Wahrnehmung dieses historischen Geschehens. Kannst du dir vorstellen, wie anders die Welt wäre, wenn die Europäer Europa nicht verlassen hätten und die Afrikaner in Afrika geblieben wären? Ich sage auf gar keinen Fall, dass Sklaverei gut war, aber sie hat die Welt in Bewegung versetzt. Und wenn Personen woanders hinfahren, nehmen sie ihre Kultur und Persönlichkeit mit. Dazu gehören auch die Musik, die Kochkunst und der Tanz.
D: Diese Botschaft versuchen wir durch die Musik zu vermitteln. Es entsteht ein „melting pot“, in dem man den anderen beeinflusst und gleichzeitig auch von ihm beeinflusst wird. Es gibt aber immer Klischees. Zum Beispiel erwarten viele Leute nicht, dass man in Afrika Funk produziert. Sie gehen davon aus, dass in Afrika nur traditionelle Musik gemacht wird.
B: Es lohnt sich, diesen Punkt hervorzuheben: Die Musik vom amerikanischen Kontinent und aus anderen Weltregionen hat die moderne afrikanische Musik durchaus beeinflusst.
J: Fela Kuti ist ein interessantes Beispiel. Er ist Nigerianer und hatte einen Teil seiner musikalischen Ausbildung in England, wo er Jazz und den sogenannten Highlife gespielt hat. Er sagt, dass er dort stark von der karibischen Musik der schwarzen Bevölkerung geprägt wurde. Das Afrika, das schon seit 500 Jahren in der Karibik ist, reist also in den 60er Jahren nach London und beeinflusst dort einen Nigerianer.
B: Genau. Der Reggae und die mit Reggae verwandten Stile sind heutzutage die populärsten Rhythmen auf dem afrikanischen Kontinent. Was wäre der Kuduro, wenn nicht eine Musik, die vom Funk Carioca beeinflusst ist?
J: Die afrikanische Dancemusic kommt aus Chicago, Detroit… aber die ersten Musiker dieses Stils waren auch Schwarze. Es funktioniert wie ein Kreis.
D: Viele Musiker, deren Musik wir spielen, sind politisch aktiv und haben an antikolonialistischen Bewegungen teilgenommen. Fela Kuti hat eine wichtige Rolle in Nigeria gespielt, nicht nur auf der musikalischen Ebene, sondern auch auf der gesellschaftlichen und politischen Ebene. Sowohl auf den Partys als auch auf unserem Blog und auf der Facebookseite achten wir darauf, dass neben der Musik auch ein philosophisches Konzept vermittelt wird.
J: Wir lassen uns auch inspirieren. Manchmal lese ich einen Bericht und denke: “Heute muss ich diese Musik spielen”. Die Musik ist lebendig und immer in Bewegung. Das versuchen wir mithilfe des Plattenspielers zu übersetzen.
B: Wenn ihr an Brasilien und Portugal denkt, fällt euch eine gesellschaftliche oder kulturelle Gemeinsamkeit ein?
D: Ich denke, dass die erste Gemeinsamkeit hier schon gegeben ist, wir reden gerade in der gleichen Sprache (Portugiesisch)…
J: Mehr oder weniger die gleiche Sprache. (Lachen)
B: Und außer der Sprache?
D: Es gibt eine gemeinsame Geschichte und in kultureller Hinsicht beeinflussen sich beide Seiten gegenseitig beträchtlich. Ich würde sagen, dass die brasilianische Kultur einen großen Einfluss in Portugal hat.
J: In Brasilien machen wir viele Scherze über Portugal und die Portugiesen. Man kritisiert den Kolonisierungsprozess. Es gibt eine gewisse Rivalität. Wenn man jedoch genau hinschaut, fällt einem plötzlich auf, wie groß der portugiesische Einfluss in der brasilianischen Kultur ist! Man kann sich zum Beispiel kaum vorstellen, dass das Tambourin, das den Samba und die schwarze Kultur prägt, ein portugiesisches Instrument ist. Genauso wie die Trommeln, die im Nordosten von Brasilien bei Festen verwendet werden und die den Maracatu ins Leben gerufen haben. Alle diese Instrumente haben iberische Merkmale, aber darüber spricht niemand.
D: Die Personen, die ich kenne, wurden von der brasilianischen Musik, Belletristik und Sprache sehr beeinflusst. Die brasilianische Gemeinschaft ist in Portugal ziemlich wichtig, ebenso wie die angolanische und kapverdische. Wir befassen uns immer wieder mit dieser Realität.
B: Kann man sagen, dass der Kolonisierungsprozess umgedreht wurde, sodass heute Brasilien viel stärker Portugal beeinflusst als umgekehrt?
D: Ich würde es anders formulieren. Die Kolonisierung ist Teil der Geschichte, aber ich empfinde sie als einen negativen Prozess. Was heute passiert, betrachte ich als etwas Positives. Wir haben heute die Gelegenheit, die Dinge zu übernehmen, die uns gefallen. Aber nicht als eine hierarchische Beziehung. Wir müssen die Gemeinsamkeiten hervorheben, alles, was uns interessiert, annehmen, aber ohne den kritischen Geist zu verlieren.
J: Seit ich in Europa wohne, habe ich einen Punkt besser verstanden. Wegen meiner Lebensgeschichte und aufgrund der Zusammensetzung meiner Familie habe ich mir immer vorgestellt, dass ich Afrobrasilianer, Afrolateinamerikaner bin. Ich wusste nichts von den europäischen Anteilen in meiner Person. Als ich Zeit mit Afrikanern verbracht habe, habe ich bemerkt, dass Brasilianer weder Afrikaner noch Europäer sind. Wir sind etwas anderes. Eine Art Dreieck setzt Brasilien, Europa (hier besonderes Portugal) und Afrika in Beziehung. Es ist etwas Organisches, ohne Hierarchie.
B: Wäre Berlin ein Ort, wo dieses Verständnis möglich ist, eine Art neutraler Raum zwischen der brasilianischen und der portugiesischen Kultur? Welche Rolle spielt Berlin in diesem Prozess?
D: In Berlin ist der Kontakt mit verschiedenen Kulturen möglich, aber das passiert wahrscheinlich auch in Rio de Janeiro und Lissabon. Der Unterschied ist, dass hier diese Begegnung auch durch die Musik dargestellt werden kann, für mich nämlich mit Batuque Low-fi. Berlin ist für Vielfalt offener als andere Städte.
J: Das ist ein interessanter Gedanke, dass Berlin ein neutrales Gebiet ist. Trotzdem erscheint es mir fast wie ein Zufall, dass wir als Brasilianer und Portugiese dieses Projekt zusammen gestalten. Unsere Zusammenarbeit entstand nicht aufgrund der kulturellen Identität oder der Sprache, es war vielmehr eine persönliche, musikalische und philosophische Identifikation, unabhängig von der Staatsangehörigkeit. Die Sprache hilft bei der alltäglichen Kommunikation und macht alles nur lustiger.
B: Sowohl die Sprache als auch der kulturelle Hintergrund spielen bestimmt eine große Rolle, wenn wir Scherze machen. Das macht schon einen großen Unterschied…
J: Sogar die Art und Weise, wie das Portugiesische in beiden Ländern gesprochen wird, ist für uns ein Thema.
D: Die Sprache hilft, aber die Hauptsache bleibt die persönliche Identifikation.
B: Wie reagiert das Publikum auf eure Musik?
D: Berlin ist nicht immer ein neutrales Gebiet. Generell gefällt die Musik dem Publikum und sie tanzen. Einige kennen die Musik schon und fühlen sich davon angesprochen, aber für andere ist unser Set was Neues. Das Feedback ist meistens positiv, obwohl Berlin ja eigentlich die Stadt der elektronischen Musik ist…
J: Trotzdem hören wir die Leute ständig sagen: „Wie gut, dass es heute keinen Techno gibt“. Manchmal fragt aber auch jemand: „Hast du vielleicht eine Platte von David Guetta?“. (Lachen) In solchen Partynächten passieren allerlei komische Dinge. Aber das ist der Preis, den wir dafür zahlen, uns nicht in eine Schublade stecken zu lassen. Wir legen nicht nur für Brasilianer und Portugiesen auf, wir wollen uns mit Berlins Vielfältigkeit in Verbindung setzen.
D: Es hat auch mit dem Begriff „Diaspora“ zu tun. Diaspora besteht darin, sich mit verschiedenen Realitäten zu mischen und sich nicht innerhalb einer Gemeinschaft einzuschließen.
B: Und wie können wir Kontakt mit eurer Realität aufnehmen?
J: Wir sind in den sozialen Medien vertreten, bei Facebook. Man muss nur nach Batuque Low-fi suchen. Wir haben auch einen Blog: www.batuquelowfi.net.
D: Im Radio kann man unsere Sendung bei Stress.fm oder Kellerwelle hören.
Interview: Tai Linhares
* Wir bedanken uns herzlich bei Sarah Lempp und Birke Carolin Resch für das Korrekturlesen und die Überprüfung des Textes.


Tai Linhares
Tai Linhares ist 1987 in dem Bundesstaat Rio de Janeiro geboren. In Brasilien hat sie einen Bachelor in Journalismus und einen Master in Kommunikation und Kultur an der Universidade Federal do Rio de Janeiro abgeschlossen. Neben ihrer Leidenschaft für die Fotografie widmete sie sich der Dokumentarfilm-Regie mit dem Film “Tear” (Webstuhl, 2014). Aktuell studiert sie Dokumentarfilm an der Filmarche, einer selbstorganisierten Filmschule in Berlin.